Garten-Oskar 2023 Sieger aus Wiesbaden
Der diesjährige „Garten-Oskar“ geht an das Landschaftsarchitekturbüro Herrchen & Schmitt aus Wiesbaden für das Projekt „Renaturierung Wellritzbach und Gestaltung Landschaftspark Wellritztal“.

Der hessische Landesverband der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) verleiht in Kooperation mit dem Hessischen Umweltministerium den „Garten-Oskar“ 2023 für herausragende gartenkulturelle Leistungen. Der Garten-Oskar wird zum 21. Mal vergeben. Die DGGL Hessen möchte damit die Diskussion über die Garten- und Landschaftskultur des 21. Jahrhunderts auf regionaler Ebene anstoßen. Ausgezeichnet werden nachhaltige Projekte, die der Öffentlichkeit zugänglich sind. In diesem Sinn soll der Garten-Oskar dazu inspirieren, neue Grün- und Freiräume mit gestalterischem Anspruch in sozialer und ökologischer Verantwortung zu realisieren.
Das Siegerprojekt 2023
Herrchen & Schmitt Landschaftsarchitekten aus Wiesbaden erhielten für ihre gelungene und beispielhafte Renaturierung und Umgestaltung von Wellritzbach und Landschaftspark Wellritztal den Gartenoskar 2023.
Ziel der Gestaltung
Ziel der Renaturierung des Wellritzbachs und der Gestaltung des Landschaftsparks Wellritztal war, das seit Jahrzehnten in einer starren Betonrinne verlaufende Gewässer wieder in einen naturnahen und ökologisch hochwertigen Zustand zu versetzen und ein innenstadtnahes Naherholungsgebiet in den Wiesenauen des Wellritztals zu schaffen.
Beispielhafte Umsetzung des Auftrags
Neben dem Ausbau von Biotopen, die wertvolle Lebensräume für Pflanzen und Tiere bieten, wurde das Gebiet auch für Spaziergänger und Erholungssuchende attraktiver. Wasser ist als prägendes Element der Stadt Wiesbaden - und hier insbesondere des Wellritztals - wieder stärker sichtbar. Durch die Renaturierung wurde das Tal ökologisch aufgewertet und gleichzeitig seiner stadtnahen Lage gerecht. Diese soll sich in den nächsten Jahren fortsetzen bis zur Klostermühle.
Renaturierung Wellritzbach und Gestaltung Landschaftspark Wellritztal
Der Landschaftspark Wellritztal ist heute einer der wichtigsten Grünzüge der Landeshauptstadt Wiesbaden und verbindet die freie Landschaft mit der Innenstadt. Durch das Tal führt der Wellritzbach als eines der fünf Fließgewässer, denen Wiesbaden seine Topografie verdankt. Das Westend von Wiesbaden, das direkt an das Wellritztal anschließt, zählt mit einer Bevölkerungsdichte von über 27.000 Einwohnern je m² (bei rund 18.000 Einwohnern insgesamt und einem Ausländeranteil von 33 %) zu den am dichtesten besiedelten Stadtteilen Deutschlands. Entsprechend hoch ist heute der Erholungsdruck, der auf diesem Park lastet.
Vor der Renaturierung des Wellritzbachs und der Gestaltung des Landschaftsparks war das Wellritztal in diesem Bereich nicht für die Bevölkerung zugänglich. Gärtnereien überprägten den Talraum und der Wellritzbach wurde – so wie in den 1950er und 1960er Jahren üblich – jahrzehntelang in eine Betonrinne gezwängt. Der Verlust ökologischer Funktionen, der Rückgang der Artenvielfalt und fehlende Retentionsräume für Hochwasser waren die Folge. Die Renaturierung des Baches und die Gestaltung des Tals bot eine große ökologische Chance für das Gebiet.
Rückverlegung in zwei Bauabschnitten
In zwei Bauabschnitten wurde der Bach im unteren Wellritztal bis zum Kurt-Schumacher-Ring in ein naturnahes Gewässerbett zurückverlegt und der ökologische Zusammenhang zur angrenzenden Auenlandschaft wieder hergestellt. Durch die Renaturierung erhielt der Bach ein strukturreiches Gewässerbett, in dem kleine und größere Steine für eine abwechslungsreiche Strömung sorgen und so einer Vielzahl von Wassertieren Lebensraum bieten. Neben einer zurückhaltenden Startbepflanzung der Ufer mit Gehölzen ist die Vegetation sich selbst überlassen, um durch Sukzession den Rohboden zu besiedeln. Das fördert die Entwicklung einer auentypischen Pflanzenwelt und leistet einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt vor Ort. Der Bach kann sich ein Stück weit seinen Weg wieder selbst bahnen, und nach jedem stärkeren Regen sieht die Landschaft ein bisschen anders aus.
Innenstadtnahes Erholungsgebiet
Für die Wiesbadener Bürger entstand ein attraktives innenstadtnahes Naherholungsgebiet in den Wiesenauen. Die landschaftlichen und ökologischen Qualitäten des Ortes spiegeln sich in der besonderen Struktur- und Gestaltsprache des Parks wider. Dabei liegt die Qualität der Gestaltung in der konzeptionellen Schwerpunktsetzung hinsichtlich der Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, Entwicklung der vorhandenen Biodiversität sowie in der Klimaresilienz.
Die Ausrichtung des Parks nach Aspekten des Arten- und Biotopschutzes stand mit im Fokus der Planung, ohne die Bedürfnisse des Menschen nach fußläufig erreichbaren stadtnahen und öffentlichen Erholungsflächen zu negieren. So gelang eine optimale stadträumliche Einfügung der ehemaligen Gärtnereiflächen, die Angebote für eine aktive Aneignung nutzbarer Freiräume durch Erholungssuchende in Stadtnähe schafft und dabei dennoch dem enormen Erholungsdruck der Parkbesucher standhält. Ein nachhaltiges und hinsichtlich klimatischer Aspekte zukunftsfähiges Begrünungskonzept dient mittels Sukzession, schattenspendender standortangepasster Baumpflanzungen mit darunterliegenden Sitzgelegenheiten sowie landschaftstypischen Wiesenflächen der Kaltluftentstehung und -weiterleitung. Der neu geschaffene Talraum ist somit funkional Lufaustauschbahn und klimatischer Ausgleichsraum und sorgt für ausbleibende Hitzebelastung auch in den Randbereichen der angrenzenden Wohnquartiere.
Förderprogramm
Die „Renaturierung des Wellritzbaches und Gestaltung des Landschaftsparks Wellritztal“ wurde im Rahmen der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie vom Land Hessen aus dem Landesprogramm„Gewässerentwicklung und Hochwasserschutz“ gefördert. Unter der Bauherrschaft des Umweltamts der Landeshauptstadt Wiesbaden haben bei dem Projekt eine Vielzahl von Fachbereichen und Büros zusammengearbeitet. Die Planung und Bauoberleitung oblagen HERRCHEN & SCHMITT Landschaftsarchitekten aus Wiesbaden.
Das Gewässer
Die Renaturierung des Wellritzbachs erfolgte auf einer Lauflänge von etwa 380 m und holt das Gewässer aus seiner Betoneinfassung an die Geländeoberfläche. Somit erhielt der Bach wieder einen naturnahen, leicht mäandrierenden Verlauf innerhalb des Wiesentals. Die Renaturierung umfasst auch die angrenzenden Flächen in einer durchschnittlichen Breite von 30 m, sodass sich eine Gesamtfläche von Böschung und Gewässer von ca. 12.000 m² ergibt.
Der talseitige Abschluss des Gewässers bildet ein naturnah gestaltetes Erdbecken, in dem die Sedimentfracht des Bachs vor dem Abschlag in die Kanalisation zurückgehalten werden kann. Das Becken verhindert die Individuenverluste von bachbewohnenden Organismen in Folge von Verdriftung. Die Renaturierung setzt nachfolgende Maßnahmen zur Zielerreichung um: Verringerung der Fließgeschwindigkeit durch hohe Sohlenrauigkeit und Verlängerung der Gesamtstrecke, Einbau von Rauschen zur Minderung der Fließgeschwindigkeit und zur Verringerung des Geschiebetransportes, Entwicklung abwechslungsreicher Strömungsbilder durch abschnittsweise Wechsel des Gefälles zwischen 1,0 und 2,5 %, Herstellung einer naturnahen Gewässerstruktur und Verbesserung der Gewässerstrukturgüte, Erlebbarmachung des Gewässers durch einen naturnahen Verlauf mit flachen Uferpartien.
Der Landschaftspark
Leitbild der Gestaltung des Landschaftsparks ist ein locker durch wenige Gehölze gegliedertes Wiesental, in dem das Gewässer eine erkennbare und erlebbare Gestaltungsachse darstellt. Neben der im Talzug verlaufenden Wegeerschließung sind Sitz-, Aufenthalts- und Spielbereiche gestaltet. Alle Ausstattungen und Materialien ordnen sich der landschaftlichen Prägung des Raumes unter und sind aus fast ausschließlich regionaler Herkunft. Die zu entwickelnde Vegetation umfasst abschnittsweise bachbegleitende Weiden- und Erlengehölze sowie in der Fläche Laubbaumsolitäre und ergänzend zum Bestand im Bereich der nördlichen Talflanke, Obstbäume auch als thematische Anlehnung an den im Wegeverlauf folgenden Kirschenpfad. Dem landschaftlichen Charakter der Örtlichkeit folgend sind die Haupterschließungswege mit einer wassergebundenen Befestigung (Schottertragschicht mit einer feinen Sand-Splitt-Deckschicht)gestaltet. Nebenwege, Sitz- und Aufenthaltsbereiche sind mit Schotterrasen befestigt, um den Spaziergängern und Erholungssuchenden eine auch bei schlechter Witterung akzeptable Wegequalität anzubieten. Für Bänke und Sitzbereiche sowie Spiel- und Balancierangebote sind ausschließlich Stein und Holz als Materialien verwendet. Die entsprechenden Installationen sind bodennah fixiert, und stellen daher keine den landschaftlichen Charakter störende Einbauten dar.
Konfliktpotenzial boten im Vorfeld der Renaturierung die sich widerstreitenden Interessen der Hundebesitzer (Gründung einer BI) und die der anliegenden Kindergärten (freilaufende Hunde versus freilaufende Kinder). In diesem Spannungsfeld der Interessen konnte mit Hilfe moderierender Werkzeuge der Landschaftsarchitekten HERRCHEN & SCHMITT eine Planungsvariante als Kompromisslösung entwickelt werden.
- Veröffentlicht am
Artikel teilen: